Bischof Feige, nach 20 Jahren Erfahrung als Ortsbischof, können Sie das Amt guten Gewissens weiterempfehlen?
Bischof Feige: Neulich hat Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff auf die Frage, ob er Lust hat, Minister der neuen Bundesregierung zu werden, gesagt: „Lust und Politik haben nichts miteinander zu tun.“ Bischof zu sein, ist nicht mehr unbedingt ein erstrebenswertes Ideal, sondern ist ein Dienst, ist eine Verpflichtung, ist ein Auftrag. Es ist eine Sendung, eine Berufung, und dem sollte man sich nicht entziehen.
Wie stehen Sie denn zu einer Begrenzung der Amtszeit für Bischöfe, ähnlich wie in der evangelischen Kirche?
Bischof Feige: Was meine Amtszeit betrifft, müssen andere bewerten, ob es gut war, dass ich so lange Bischof war. Ansonsten: Auf dem Synodalen Weg wurde ja diskutiert, ob die Amtszeit von Bischöfen begrenzt werden sollte, beispielsweise auf sieben Jahre. Der Hintergrund: Macht müsste begrenzt, geteilt und kontrolliert werden. Ich bin unschlüssig. Es hat etwas für sich, wenn man längere Zeit Bischof ist. Man kennt viele Dinge und kann vielleicht besser entscheiden. Wenn es nicht gut geht, wäre eine begrenzte Amtszeit natürlich besser. Und außerdem: Wie mächtig ist schon ein ostdeutscher Bischof?
Ist in der Deutschen Bischofskonferenz das Verständnis für die besondere Situation im Osten gewachsen?
Bischof Feige: Ja und nein. Es gibt Bischöfe, die sich intensiv mit unserer Situation auseinandersetzen. Ob sie letztendlich begreifen, was das alles für Konsequenzen hat, da bin ich unsicher. Was das mit uns macht, was das für Herausforderungen sind, ist für viele schwierig nachzuvollziehen. Und vor allem die finanzielle Lage und die anderen Rahmenbedingungen, in denen wir lebendige Kirche sein wollen.
Kommen Sie sich manchmal als Jammer-Ossi vor, wenn Sie dann vor den Mitbrüdern sagen, dass Sie etwas aus obigen Gründen einfach nicht umsetzen können?
Bischof Feige: Ich ergreife dann nicht mehr so oft das Wort. Ich habe den Osten schon lange genug leidenschaftlich ins Gespräch gebracht. Aber ich bin dankbar, wenn auch andere Bischöfe, die im Osten tätig sind und westlich sozialisiert sind, da ihre Stimme erheben und deutlich machen, wie unsere Situation hier ist.
Welches Buch empfehlen Sie, um die Situation im Osten und Unterschiede gegenüber dem Westen besser nachvollziehen zu können?
Bischof Feige: Da kann ich zwei nennen. Zum einen «Ungleich vereint» von Steffen Mau. Das würde ich sowohl auf die Gesellschaft beziehen als auch auf die katholische Kirche. Es müsste auch innerkirchlich noch deutlicher wahrgenommen werden, wie ungleich wir sind. Und dann muss darüber nachgedacht werden, wie man zukünftig Kirche insgesamt in Deutschland gestalten will.
Meine zweite Empfehlung ist «Freiheitsschock» von Ilko-Sascha Kowalczuk. Seine These: Eine Revolution machen nur wenige. Es ist eine Illusion zu meinen, das ganze Volk der DDR sei 1989 aufgestanden. Aufgrund der Erfahrungen mit einem autoritären Regime, das alle Bereiche eigentlich geregelt hatte, und wo es keine Zivilgesellschaft gegeben hat, ist es heutzutage eben schwer, in Freiheit zu leben und Freiheit konstruktiv zu gestalten. Daher rühren auch manche Fantasien nach einer starken Hand, nach einer starken Partei, die alles wieder regelt, nach einem starken Staat, der das aber gar nicht leisten kann.
Sie haben schon früh die Ansichten der AfD als menschenverachtend kritisiert. Wie stehen Sie zur Frage eines Verbotsverfahrens?
Bischof Feige: Da sehe ich ein gewisses Dilemma. Einerseits sind verschiedene Gruppierungen dieser Partei schon als gesichert rechtsextremistisch eingestuft und das scheint keinerlei Konsequenzen zu haben. Auf der anderen Seite bin ich aber nicht unbedingt für ein Verbot. Das stärkt nur wieder die Opferrolle, die die AfD so gerne einnimmt und dann eben den Vorwurf erhebt, wir lebten ja in einer Diktatur und man könne nicht mehr alles sagen und alles vertreten. Ich denke, wenn man jetzt die AfD verbietet, würde das noch einen größeren Widerstand bei der Wählerschaft dieser Partei hervorrufen.
Sie gelten als einer, der in gesellschaftspolitischen Fragen gern klare Kante zeigt. Ist es notwendiger geworden, Haltung zu zeigen?
Bischof Feige: Ja. Angesichts vieler Entwicklungen in den vergangenen Jahren, sowohl in Gesellschaft und Politik wie Kirche, ist es notwendiger geworden, Haltung zu zeigen.
Ist es auch schwieriger, weil der Gegenwind rauer geworden ist?
Bischof Feige: Durchaus. Man kann alles sagen, aber man muss eben damit rechnen, dass nicht alle zustimmen. Das ist in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft so. Innerkirchlich hat das auch zugenommen. Von daher gehört schon was dazu, Haltung zu zeigen. Aber da knüpfe ich auch an Erfahrungen aus DDR-Zeiten an: Ich war kein Bürgerrechtler oder Widerstandskämpfer, aber von meinen Eltern und meiner Heimatpfarrei habe ich gelernt, Haltung zu zeigen und durchzutragen.
Ist es wichtiger geworden, dass Kirche Haltung zeigt in gesellschaftspolitischen Fragen?
Bischof Feige: Ich glaube, gerade was die Menschenwürde betrifft, Menschenrechte und Gerechtigkeit, also das Zusammenleben von uns Menschen, da kann und darf Kirche nicht schweigen.
Hat es Sie frustriert, dass die AfD auch trotz der eindringlichen Appelle der Bischöfe so ein hohes Wahlergebnis erzielt hat und auch von vielen Christen gewählt wurde?
Bischof Feige: Ja. Aber vielleicht, wenn wir uns nicht geäußert hätten, hätten noch mehr diese Partei gewählt. Das lässt sich halt leider nicht überprüfen. Aber besorgt bin ich schon, vor allem jetzt im östlichen Gebiet, wie sich alles weiterentwickelt.
Bald dürften wir eine neue Bundesregierung haben. Was erwarten Sie von einem Bundeskanzler Friedrich Merz?
Bischof Feige: Ich erwarte, dass eine Politik betrieben wird, die die Bevölkerung wieder mehr befriedet.
Und da ist Merz der Typ dafür?
Bischof Feige: Ich hoffe, dass ein Befrieden gelingt und dass das Parteiengezeter weniger wird und man versteht, worum es eigentlich geht. Das ist jetzt entscheidend. Und dass man nicht auf Themen aufspringt oder die verstärkt, die von der AfD gewissermaßen vorgegeben werden. Was die Migrationspolitik betrifft, da erwarte und hoffe ich, dass es Regelungen geben wird, die realistisch, wertebasiert und rechtskonform sind und nicht illusionär, populistisch und willkürlich. Das ist so ein Stimmungsthema, aber da sollte man auch aufpassen, dass der Gleichklang von Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Verhältnismäßigkeit nicht verloren geht.
Aller Orten wird eine Transformationserschöpfung oder -müdigkeit diagnostiziert, vor allem auch in Ostdeutschland aufgrund der besonderen Entwicklung. Empfinden Sie selbst auch sowas manchmal?
Bischof Feige: Ja, weil das schon gravierend ist. Wir haben eine gewaltige Transformation durchgemacht von der DDR zur Existenz im wiedervereinigten Deutschland. Das war schon bewegend, das hat uns gewaltig verändert, hat Kräfte gekostet. Und daher rühren gerade in der ostdeutschen Bevölkerung viele Befürchtungen mit Blick auf die Flüchtlingsproblematik, die Wirtschaftsentwicklung, den Ukraine-Krieg.
Und wenn man dann noch die innerkirchlichen Entwicklungen dazu nimmt, dann ist da schon ein Bedürfnis zu sagen: Könnte es nicht mal etwas ruhiger werden? Vor allem wird das Ganze ja noch verstärkt durch die Medien, durch die Masse an Informationen und die unzähligen Stimmungsbarometer und Meinungsumfragen. Das fordert schon enorm heraus.
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